Angels' Share - Der Anteil für die Engel

Wie durstig sind die Engel wirklich?

Fängt man an Whisky zu trinken, hört man immer wieder vom berühmt berüchtigten Angels‘ Share – dem Anteil für die Engel. Während der Lagerung von hochprozentigen Destillaten in Holzfässern, kommt es aufgrund der Durchlässigkeit von Holz, dem hohen Dampfdruck von Alkohol und dem Luftaustausch mit der Umgebung zu stetig schwindenden Alkoholkonzentrationen. Üblicherweise wird das Destillat mit einer Konzentration von 60 – 70 vol.-% in die Fässer gefüllt. Viele Quellen sprechen von Verlusten von 0,5 - 2 vol.-% Alkohol im Jahr, sodass ein Whisky oftmals mit einer Fassstärke von 60-50 vol.-% abgefüllt werden kann. Liegt ein Whisky sehr lang im Fass, kann es durch den Angels‘ Share auch dazu kommen, dass der Whisky die Grenze von 40 vol.-% zu unterschreiten droht – in diesem Fall wird das Fass dann zügig abgefüllt. 

In Schottland erzählt man sich, dass jeder Whiskytrinker eine Art Bankkonto bei den Engeln besitzt. Der Anteil an Angels' Share des Whiskys, welchen wir im Leben trinken, wartet im Himmel auf uns. Ein schöner Gedanke, welcher auch ein wenig die Angst vor dem Unbekannten im nächsten Leben nimmt. Denn wenn dort oben Whisky auf uns wartet, kann der Tot nicht allzu schlimm sein.

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Doch so einfach ist es nicht: Befasst man sich nicht näher mit diesem Thema scheint es recht verwunderlich, wenn man 20- oder 30-jährige Whiskys findet, welche 58, 59 oder sogar mehr als 60 vol.-% Alkohol besitzen. Wie kann das funktionieren? Wird in diese Fässer Destillat mit einem höheren Alkoholgehalt gefüllt? Werden die Fässer gar luftdicht verpackt? Sehr viel Informationen über die genaue Lagerung der einzelnen Fässer erhält man selten. Mythen und Gerüchte gibt es viele. Doch anstatt groß zu spekulieren, schauen wir uns doch die wissenschaftliche Seite des Angels‘ Share an.

Der Anteil für die Engel

Als Angels‘ Share bezeichnet man den Anteil an flüssigen Bestandteilen (Alkohol und Wasser), welche während der Lagerung von Whisky aus dem Fass verdunsten. Im Fall von schottischen Whisky besteht der größte Teil des Angels‘ Shares traditionell aus Alkohol. Warum das nicht immer ganz richtig, wird an späterer Stelle genauer beschrieben. Die Menge verdunsteter Flüssigkeiten beträgt etwa 1-3 % pro Jahr, je nach Lagerungsort und Fassgröße. Dies klingt im ersten Moment nicht viel. Bei einer jährlichen Produktion von einer Million Liter Alkohol, was für eine schottische Brennerei nicht sehr viel ist, gehen auf diese Weise grob geschätzt etwa 20.000 Liter Alkohol verloren – das wären 80 Fässer mit einer Größe von 250 L. Um den Angels' Share nicht aus den Augen zu verlieren und um zu kontrollieren wieviel Whisky denn nun im Fass enthalten ist, werden die Fässer meist gewogen. Mit der Zeit und fortschreitendem Angel' Share wird das Fass nun immer leichter.

Probleme durch den Angels‘ Share

Dieser Effekt trägt natürlich auch zur Reifung des Whiskys bei und soll gar nicht komplett vermieden werden, allerdings treten durch ihn auch mehrere Probleme auf:

1.)    Finanzieller Verlust für die Brennereien durch den Verlust von Destillat

2.)    Der Alkoholgehalt der Destillate sinkt häufig – sinkt er unter 40 vol.-% darf dieses nicht mehr als Whisky verkauft werden.

3.)    Ein Pilz mit dem Namen „Baudoinia compniacensis“ ernährt sich sehr gern von Alkohol aus der Luft – dieser überzieht Mauerwerke schottischer Gebäude als schwarzbrauner Belag.[1] Nicht nur auf Brennereigebäuden ist dieser zu finden, auch die angrenzenden Ortschaften werden von Jahr zu Jahr schwärzer.

Schwarze Verfärbungen verursacht durch den "Whiskypilz" auf einem Gebäude der Jura Brennerei.[B1]

Aus den genannten Gründen soll der Angels‘ Share so gut wie möglich reduziert werden. Da dies nicht immer möglich ist und schon gar nicht einfach, hat man gelernt mit einem gewissen Anteil zu leben. Doch es kommt ab und an vor, dass man einen Whisky im Glas hat, welcher einen so hohen Alkoholgehalt hat, dass man glauben könnte die Engel hätten ihren Anteil gar nicht erhalten.

Von welchen Faktoren hängt der Angels‘ Share ab?

Um zu den Angel Share zu kontrollieren und Profitverluste für die Hersteller so gering wie möglich zu halten, ist es notwendig zu verstehen wie der Angels' Share funktioniert und wie er sich beeinflussen lässt. Sei vielen Jahren schon, investieren Whisky- und Whiskeyproduzenten deshalb in die Forschung. Bereits vor 40 Jahren wurden zahlreiche Untersuchungen angestellt, wovon der Angels' Share abhängt und wie er sich kontrollieren lässt.


Der Angel Share‘ ist abhängig von…

1.)    … der Größe des Fasses

Was man bereits von der Reifung kennt, gilt auch hier: Je höher das Oberflächen/ Volumenverhältnis eines Fasses, desto stärker ist auch der Angels' Share. D.h. Kleine Fässer besitzen ein höheres Oberflächen/ Volumenverhältnis und begünstigen somit die Verdunstung. Prozentual gesehen verliert ein kleines Fass mehr Flüssigkeit als ein großes Fass.

2.)    … des Füllstandes

Je weniger Whisky im Fass enthalten ist, desto mehr Flüssigkeit verdunstet. Hier spielt die Oberfläche der Flüssigkeit eine Rolle. Diese ist umso größer, desto weniger Destillat sich im Fass befindet. Am größten ist die Oberfläche in einem genau bis zur Hälfte befülltem Whiskyfass.

3.)    … von der Porosität des Fasses bzw. des Holzes

Je größer undichte Stellen im oberen und trockenen Teil des Fasses sind, desto größer ist auch der Luftaustausch mit der Umgebung. Dies hat zur Folge, dass auch die Verdunstung begünstigt wird. Das Holz selbst besitzt auch Poren (sog. Gefäße) durch welche Alkohol und Wasser langsam verdunsten können. Da die meisten Fässer aus Eichenholz bestehen (in Schottland ausschließlich), ist die Verdunstung durch die Holzporen deutlich geringer als im Vergleich zu anderen, nicht-verthyllenden Holzarten wie z.B. Kastanienholz. [2]

4.)    …von der Temperatur

Durch Temperaturschwankungen kommt es auch zur Ausdehnung bzw. Schrumpfung des Holzes. Bei hohen Temperaturen dehnen sich das Holz sowie die Metallringe um das Fass aus. Dies führt zu größeren Poren und kleinen undichten Stellen, welche die Verdunstung begünstigen. Außerdem verdunsten Flüssigkeiten deutlich schneller, je wärmer es ist. Generell gilt: Je höher die Temperatur, desto mehr Flüssigkeit verdunstet.

5.)    …von der Luftfeuchtigkeit

Ein ausschlaggebender Faktor ist außerdem die Feuchtigkeit der Umgebungsluft. Ist diese sehr hoch, verdunstet viel Alkohol und der Alkoholgehalt im Fass sinkt. Ist diese Luft allerdings sehr trocken, verdunstet eher Wasser und der Alkoholgehalt im Fass kann sogar ansteigen. Hierzu ist ein Blick auf folgende Grafik hilfreich:

(c) Whisky and Molecules

Praktische Auswirkungen auf den Angels' Share

Schaut man sich die bereits genannten Faktoren an, erkennt man, dass dies ein äußerst komplexes Thema ist. Da Fassgrößen, Füllstand und Holzarten allerdings immer gleich bzw. sehr ähnlich sind, haben diese zwar einen Einfluss auf die Verdunstung, die Stärke des Effekts ist allerdings bei Whisky immer im gleichen Niveau. Temperatur und Luftfeuchtigkeit variieren allerdings, je nach Lagerungsort teilweise deutlich, trotz des eher konstanten maritimen schottischen Klimas. 

Hier hilft ein Blick in die Warehouses: Wird Whisky in oberen Etagen bzw. unter Dächern gelagert, kann die Temperatur aufgrund der Sonneneinstrahlung stärker ansteigen (15-35°C) als im Erdgeschoss oder im Keller der Lagerstätte (10-15 °C). Klassische schottische Lagerhäuser sind allerdings zumeist flache Gebäude mit teils guter Isolation, wodurch im Gebäude selbst nur geringe Temperaturschwankungen auftreten, weshalb auch die Temperatur einen eher zu vernachlässigenden Einfluss auf den Angels' Share von schottischen Whisky darstellt.

Philp et al. hat diesen Effekt bereits 1989 untersucht. Er zeigte, dass unter kontrollierten Klimabedingungen, Temperatur und Feuchtigkeit bewiesenermaßen die Verdunstung von Whisky während der Lagerung beeinflussen. Eine Erhöhung der Temperatur erhöht die Menge an Flüssigkeit, welche verdampft, währenddessen die Luftfeuchtigkeit der Umgebungsluft Auswirkungen auf die Zusammensetzung der verdunsteten Flüssigkeiten hat. Bei hoher Luftfeuchtigkeit geht mehr Ethanol (umgspr. Alkohol) als Wasser in die Luft über, wodurch der Alkoholgehalt im Fass sinkt. Bei niedriger Luftfeuchtigkeit ist es genau umgekehrt: Es geht mehr Wasser verloren und die Alkoholkonzentration des im Fass verbleibenden Whiskys steigt an.[3]

Aus diesem Grund spielt auch der Ort im „Regal“ eine große Rolle. Bei großen Regal- oder Palettenlagern gibt es große Unterschiede zwischen den Fässern ganz oben und denen am Boden. Die Umgebungsluft der unteren Fässer ist im allgemeinen konstant mit einer relativ hohen Luftfeuchtigkeit. Je höher die Fässer liegen, desto trockener wird auch die Luft. Die Menge an verdunsteter Flüssigkeit ist jedoch bei höheren Temperaturen und trockener Luft höher. Dies hat zur Folge, dass eine gleiche Spirituose mit demselben Alkoholgehalt unterschiedlich viel Flüssigkeit während der Lagerung verliert, je nachdem wo sich das Fass im Lagerhaus befindet. Damit verbunden ist auch der Alkoholgehalt im Fass ein anderer, je nachdem ob bevorzugt das Wasser verdunstet oder der Alkohol.

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Eine Studie aus Amerika hat außerdem gezeigt, dass auch die Art des Lagerhauses eine große Rolle spielt. Gebäude aus Stein und Zement zeigen eine generell höhere Feuchtigkeit im inneren und neigen zu höherem Alkoholverlust. Whiskey, welcher in Lagerhäusern aus Holz gelagert wurde, zeigen deutlich höhere Alkoholgehalte. Einen Einfluss auf die chemische Zusammensetzung des Whiskys konnte nicht gezeigt werden.[4]

Die Luftfeuchtigkeit erklärt auch die internationalen Unterschiede der Alkoholkonzentrationen im Fass:
Im trockenen Klima der amerikanischen Südstaaten kommt es aus diesem Grund zu einer deutlich stärkeren Verdunstung, sprich es geht mehr Flüssigkeit verloren. Jedoch steigt der Alkoholgehalt während der Lagerung an. Es geht somit vermehrt Wasser verloren und kein Alkohol.[5]

Im feuchten Klima Schottlands ist dies genau umgedreht. Der Whisky verliert im Laufe der Jahre weniger Flüssigkeit, allerdings deutlich mehr Alkohol. In Schottland verfügen traditionelle Lagerhäuser oft über keine aktiven Belüftungssysteme, und der Luftaustausch hängt von den vorherrschenden Wetterbedingungen, dem Schutz des Lagers und der Anzahl der wöchentlichen Öffnungen ab. Dies kann aber durch eine bewusste Lagerung und moderne Technik zur Klimatisierung sehr gut beeinflusst werden. Man muss nur wissen, an welchen Schrauben man drehen muss. Und wenn man die oft sehr hohen Fassstärken bei manchen Whiskys, selbst nach mehreren Jahrzehnten, anschaut, scheint dieses Wissen bereits Einzug in die Warehouses gefunden zu haben.

Zusammenfassung

Der Angels' Share ist unvermeidlich und eng mit der Whiskyherstellung verbunden. Allerdings ist er in einem gewissen Rahmen kontrollierbar. Durch eine überlegte Planung der Lagerhäuser und der Verwendung moderner Klima-Technik, lässt sich Temperatur und Feuchtigkeit so regulieren, dass der Alkoholverlust durch Verdunstung minimiert werden kann. Forschungen zeigen, dass bei gleichen Temperaturen, die Verdunstung von Alkohol und Wasser keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die chemische Zusammensetzung und somit auf den Geschmack des Whiskys besitzt. Der Verlust von Alkohol ist für die Brennereien ärgerlich, aber (zumindest zum teil) vermeidbar. 
Somit kann man getrost den nächsten Whisky mit einem ungewöhnlich hohen Alkoholgehalt geniessen. Gemogelt wurde hier wohl nicht, sondern einfach intelligent gelagert. Ein extremes Beispiel hierfür ist der Coleburn von Gordon & MacPhail, welcher nach 47 Jahren immernoch 62,4 vol.-% aufweist.
Ob die Engel allerdings zufrieden sind, wenn sie statt Alkohol nur noch Wasser bekommen, das ist eine ganz andere Geschichte.

Whisky and Molecules

 

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Referenzen:

[1] Ewaze, J. O., Summerbell, R. C., & Scott, J. A. (2008). Ethanol physiology in the warehouse-staining fungus, Baudoinia compniacensis. mycological research, 112(11), 1373-1380.

[2] M. Rosenthal, Bäucker, D. F. E. (2013). Zur Anatomie des Holzes der Weiß-Eichen.

[2] Philp, J.M. (1989) Cask quality and warehouse conditions. In "J.R.Piggott, R.Sharp and R.E.B.Duncan (Eds.) The Science and technology of whiskies." Longman Scientific and Technical, Harlow

[3] Liebmann, A. J., & Scherl, B. (1949). Changes in whisky while maturing. Industrial & Engineering Chemistry, 41(3), 534-543. 

[4] Reazin, G. H. (1981). Chemical mechanisms of whiskey maturation. American Journal of Enology and Viticulture, 32(4), 283-289.

[B1] Herzlichen Dank an Thomas Schneider von Whisky Südholstein für das zur Verfügung stellen des Bildes der Jura Distillery.